Wir geben unser Wissen weiter

Die Emil Berliner Studios veranstalten Seminare, in denen wir unser Know-how aus der Welt des Klanges und seiner Gestaltung vermitteln. Dabei kommen Themen aus sämtlichen Bereichen der Musikproduktion zur Sprache: Mikrofonierung, Mixing, Editing, Vinyl-Mastering, 3D-Mischung sind nur einige der möglichen Punkte. Zielgruppen sind Ausbildungsinstitute und Veranstalter verschiedenster Branchen. Die Seminare lassen sich als Zusatzangebote in Tagungen einbinden, die Emil Berliner Studios können auch Zielpunkt von Exkursionen sein.

Vergangene Seminare

Abbey Road Institute

Analog Editing, 2019

Abbey Road Institute
UdK Berlin

Analoge Studiotechnik, 2019

UdK Berlin
SRH Hochschule der Populären Künste

Piano recording & analog mixing

SRH Hochschule der Populären Künste
Aspekte einer guten Aufnahme

Die Erschaffung eines Kunstproduktes

von Rainer Maillard und Thomas Görne

 

Natürlichkeit

Im Zusammenhang mit von Menschenhand erschaffener Musik, bei der höchst artifizielle Werkzeuge wie Musikinstrumente, Konzertsäle und Stereoanlagen ins Spiel kommen, sprechen wir gerne von natürlichem Klang – und unterliegen damit eigentlich einem sprachlichen Missverständnis.

Der Duden erklärt »natürlich« als »zur Natur gehörend«. Demnach ist keine Stradivari, kein Steinway-Flügel, keine Philharmonie und erst recht kein Mikrofon »natürlich« und kann per se auch nicht natürlich klingen. All diese Dinge wurden von Menschen geschaffen, wurden nach menschlichen Vorstellungen und Idealen entwickelt, gebaut, verbessert und benutzt.

Trotzdem wird der Begriff »Natürlichkeit« bei der Produktion und Reproduktion von Musik gerne strapaziert; meist meint man damit, die Musik solle auf der Schallplatte genauso klingen wie im Konzertsaal. Doch dieser Ansatz – wenn er sich denn je realisieren ließe – würde zu vollkommen unbefriedigenden Ergebnissen führen.

Bei einer guten Aufnahme geht es nicht um Natürlichkeit, sondern um die Erfüllung von Erwartungen. Es sollte das höchste Ziel sein, dem Hörer der Schallplatte ein möglichst optimales Hörerlebnis zu ermöglichen.

 

Erwartung, Ideal und Irritation

Schall umgibt uns wie Luft. Seit unserer Kindheit erfahren wir, wie Räume akustisch reagieren. Wir können Räume hören: Wir hören den Abstand der Wände, wir hören die Höhe der Decke, wir hören die Oberflächenbeschaffenheit der Wände. Das Badezimmer klingt eng, der Konzertsaal weit (selbst wenn beide die gleiche Nachhallzeit haben). Schritte im Treppenhaus klingen anders als im Wohnzimmer, der Flügel klingt in der letzten Reihe eines großen Saales anders als in der ersten Reihe eines kleinen Saales. Wird unsere Hörerwartung nicht erfüllt, sind wir irritiert.

Wie soll aber ein Klavier klingen, das zuhause im Wohnzimmer aus den Lautsprechern tönt? Als ob es in diesem Wohnzimmer steht? Oder als ob es im Wiener Musikverein steht, obwohl man in einem Wohnzimmer sitzt? Und wenn schon der Musikverein, soll es entfernt wie aus der letzten Reihe oder nah wie aus der ersten Reihe klingen? Realer Raum (Wohnzimmer) und imaginärer Raum (Konzertsaal) vermischen sich. Für diese besondere Situation hat sich eine eigene Klangästhetik entwickelt; anders als im Konzert steht hier der direkte Klang eines Instrumentes im Vordergrund.

 

Der adäquate Raum

Vom Standpunkt der Musikproduktion ist es nicht wichtig, ob ein Raum »gut« ist – er soll adäquat sein. So klingt ein Orgelstück von Widor nur in der Akustik einer großen Kirche angemessen; ein Orchesterwerk von Mahler erfordert einen größeren Konzertsaal (mit späteren Reflexionen und längerem Nachhall) als eine Mozart-Sinfonie. Die Jazz-Combo klingt im Kammermusiksaal schwammig und unpräzise, das Streichquartett im Jazz-Club hart und verfärbt. Den universell nutzbaren Aufnahmeraum gibt es nicht; unterschiedliche Besetzungen und unterschiedliche Programme verlangen unterschiedliche Räume.

Erfüllt der Raum nicht die Anforderungen der Aufnahme, kann der Tonmeister in gewissen Grenzen korrigierend einwirken, sodass der Hörer der Aufnahme den Unterschied zur Aufnahme im besser geeigneten Raum nicht bemerkt.

 

Reduktion der Raumakustik

Der Aufnahmeraum wird durch die Aufzeichnung und Wiedergabe gewissermaßen »zusammengeklappt«: Während uns die Reflexionen im realen Raum aus allen Richtungen erreichen, erscheint der dreidimensionale Raum bei stereofoner Wiedergabe auf zwei Dimensionen reduziert, auf jeweils eine Ebene zwischen und hinter den Lautsprechern. Andere Verfahren wie 5.1-Surround sind hier etwas besser, aber trotzdem weit von der ursprünglichen Dreidimensionalität entfernt. Selbst bei der Wellenfeldsynthese erscheint das holofone Abbild des Raums zweidimensional. Und Wiedergabetechniken mit senkrecht übereinander angeordneten Lautsprechern können den Raum auch nur dort darstellen, wo die Lautsprecher sind. Der aufgezeichnete und über Lautsprecher wiedergegebene Raum ist durch die Reduktion im »Flaschenhals« der Aufnahmekette verfremdet.

 

Reduktion der Sinne

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war Musik nur leibhaftig vom Musiker zum Hörer erlebbar. Seit Thomas Alva Edison und Emil Berliner ist Musik überall und jederzeit verfügbar geworden. Allerdings ist das technisch reproduzierte musikalische Erlebnis reduziert auf Schall, den rein akustischen Ausdruck. Ein musikalisches Konzerterlebnis ist aber kein rein akustisches, denn alle Sinne werden angesprochen. Und das Auge ist dominant: Wir hören, was wir sehen. Die in schönster Konzertgarderobe gekleidete Solistin steht in der Mitte der Bühne vor dem Orchester, vom Scheinwerferlicht angestrahlt. Der Zuhörer folgt gespannt der Mimik, dem Bogenstrich. Selbst wenn das Blech die Solistin kurzfristig übertönen sollte, helfen die anderen Sinne zu einem vollständigen musikalischen Erlebnis. Das nennen wir gelenkte Aufmerksamkeit.

Bei der Musikproduktion kompensiert die Hand am Mischpult das Fehlen von Sinneseindrücken, sie lenkt die Aufmerksamkeit wie der Scheinwerfer im Konzert: So wird die Solistin im Verhältnis zum Orchester auf der Schallplatte lauter aufgezeichnet, als sie im Konzertsaal zu hören ist.

 

Gestalteter Klang

Man kann nicht nicht gestalten (frei nach Paul Watzlawicks kommunikationspsychologischem Axiom »Man kann nicht nicht kommunizieren«). Auch die Nicht-Gestaltung ist Gestaltung, weil sie beim Hörer eine Wirkung hervorruft: So sind auch die Mitschnitte eines Amateurs gestaltet, wenn auch nicht immer zu ihrem Vorteil. Und sogenannte »audiophile« Aufnahmetechniken (wenn beispielsweise das Ensemble mit einem einzigen Stereo-Mikrofon aufgezeichnet wird, übertragen über besondere Kabel und Verstärker) sind nicht besser oder schlechter als »konventionellere« Verfahren, sie sind nur eben anders. Das Ergebnis hängt weniger von der eingesetzten Technik als von Imagination und Gestaltungsvermögen des Tonmeisters ab. Und so wie man eine regionale Küche oder einen bestimmten Koch »erschmecken« kann, ist auch der charakteristische Klang eines Tonmeisters »erhörbar«. Eine Aufnahme von Günter Hermanns, dem langjährigen Tonmeister Herbert von Karajans, klingt immer nach Günter Hermanns, egal, ob die Aufnahme in der Berliner Jesus-Christus-Kirche, der Philharmonie oder dem Wiener Musikverein entstand, egal, ob in analoger Zweispurtechnik oder digitaler Mehrspurtechnik aufgezeichnet wurde.

 

Adäquate Technik

Kein Musikinstrument, kein Abstrahlverhalten eines Instrumentes, keine Raumakustik, kein Aufzeichnungsmedium ist perfekt. Das ist auch nicht nötig und nicht einmal erstrebenswert; es geht einzig und allein um das Ergebnis, das aus dem Zusammenwirken einer ganzen Reihe von Einzelteilen entsteht. Klingt ein Saal »dumpf«, hilft ein »hell« klingendes Mikrofon. Klingt eine Geige »spitz«, kann ein »rund« klingendes Mikrofon helfen, und eine andere Mikrofonposition hilft, mehr oder weniger Obertöne des Instrumentes aufzunehmen. Die gelungene Aufnahme ist wie ein gelungenes Menü: Am wichtigsten ist die geschmackvolle Kombination der Einzelteile. Die Suppe wird ohne Salz nicht schmecken, aber trotzdem ist Salz allein kein Qualitätsmerkmal – man kann die Suppe auch versalzen.

Auch wenn eine hohe technische Qualität der verwendeten Werkzeuge Grundvoraussetzung ist, sind andere Parameter für den Klang wesentlich entscheidender: So hat die Positionierung der Mikrofone einen wesentlich größeren Einfluss auf den Klang als der Mikrofontyp. Mikrofone, die an der gleichen Position am Instrument unterschiedlich klingen, können an unterschiedlichen Positionen sehr ähnlich klingen. Häufig werden die einzelnen technischen Aspekte der Aufnahmekette in den Vordergrund gestellt, und solche Diskussionen werden gerne dogmatisch geführt (»Nur die Mikrofone AB am Vorverstärker XY klingen frei und offen«). Doch solcher Dogmatismus führt in die Sackgasse, weil jede dogmatische Beschränkung die gestalterische Freiheit einengt. Sicher, der Koch mag vielleicht Spaghetti am liebsten, aber manches Gericht wird mit Linguine einfach besser...

 

Illusion

Die gelungene Aufnahme ist kein Abbild der Realität, kein technisch reproduziertes Konzerterlebnis. Die gelungene Aufnahme ist eine mit technischen Mitteln erzeugte Illusion, sie zieht den Hörer in die Musik, sie nimmt ihn mit, verführt ihn. So wie beim Filmton Geräusche subtil eingesetzt werden, um die Aufmerksamkeit des Kinogängers zu fangen und auf Details der Handlung zu lenken, so fängt die gute Musikaufnahme den Hörer, sie berührt ihn.

 

Perfektion

Musik ist Kunst in der Zeit. Sie vergeht im Augenblick des Entstehens. Ein Bild, eine Skulptur überdauern Jahrhunderte; Musik existiert nur zu der Zeit und an dem Ort, zu der und an dem sie gespielt wird. Die Schallplatte reißt die Musik aus dem Fluss der Zeit und aus ihrem räumlichen und sinnlichen Kontext, sie ermöglicht uns, dieselbe Interpretation desselben Stücks wieder und wieder zu hören. Das Sofa im Wohnzimmer ist aber nicht der Konzertsaal, das aufgenommene Stück nicht das im Konzert gespielte Stück, selbst dann nicht, wenn die Aufnahme in diesem Konzert erfolgte.

Der Tonschnitt hilft, eine Musikproduktion den Anforderungen der zeit- und kontext-losen Schallplatte anzupassen. Einerseits lassen sich durch den Schnitt Unvollkommenheiten entfernen, andererseits ist die Montage aus verschiedenen »Takes« der Aufnahme eines der wichtigsten gestalterischen Werkzeuge der Nachbearbeitung. Dieser gestalterische Prozess kann zu erstaunlichen musikalischen Ergebnissen führen. Trotzdem hat der Tonschnitt ein negatives Image, weil die Musik ja »manipuliert« wurde, weil die erreichte Perfektion des Kunstwerks Schallplatte »nicht natürlich« sei.

Während beispielsweise der Bildschnitt eines Films für den Zuschauer nachvollziehbar ist, bleibt der Tonschnitt einer Musikproduktion unhörbar; wir haben als Zuhörer keine Chance, den Prozess der Montage nachzuvollziehen. So gibt es einen Oscar für den besten Bildschnitt – doch einen Grammy für den besten Musikschnitt gibt es nicht.

Unsere Seminarteilnehmer